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Alexander Cammann | DIE ZEIT

am ZEIT-Stand zur Frankfurter Buchmesse

Autor: Alexander Cammann
Titel: Das Ende des Ossis
Erschienen in: DIE ZEIT Nr. 9
am: 23.2.2012
über: Angela Merkel & Joachim Gauck

Menschen brauchen Mythen wie Kinder Märchen. Mythen sind Erzählungen, die Sinn und Gemeinschaft stiften und uns sagen, wer wir sind und woher wir kommen. Mythen halten ›ewige Wahrheiten‹ und unsere Vergangenheit im kollektiven Gedächtnis lebendig. Nicht von ungefähr besteht Geschichte (im Sinne von Historia) aus der Summe vieler Geschichten. Alles sollte man sich deswegen nicht erzählen lassen. Keine Märchenstunde.

Alexander Cammann leitet seinen Artikel über die Ernennung des Ostdeutschen Joachim Gauck zum Bundespräsidenten mit der wackeligen Überschrift »Das Ende des Ossis« und einer Aufzählung zweier Mythen ein, die er als ›deutsch‹ ausgibt, obwohl sie eher zum westdeutschen Erzählkreis gehören (weitere westdeutsche Mythen jener Jahre wären übrigens der RAF-Mythos oder die ’68er):

Zwei große Erzählungen voller Wendungen und Fügungen kannte die deutsche Politik nach 1945: die Geschichte des vaterlosen Antifaschisten Willy Brandt, der 1933 emigrieren musste und mehr als drei Jahrzehnte später Bundeskanzler jener Deutschen wurde, die einst Hitler gewählt hatten. Und die 68er-Geschichte um Joschka Fischer und Co., die als Spontis, Maoisten und Revolutionäre einst das System stürzen wollten, um ebenfalls drei Jahrzehnte später sich an dessen Spitze zu tummeln.

Nach diesen beiden Aufsteigergeschichten wird Alexander Cammann selbst zum Märchenonkel und schreibt pathetisch:

Seit Sonntag ist eine dritte romantische Erzählung hinzugekommen: die der Ostdeutschen Angela Merkel und Joachim Gauck, die beide einst neu und als Außenseiter an Bord der Bundesrepublik kamen und doch auf die Kommandobrücke des Staatsschiffs gelangten. (…) Zwei Zonenkinder an der Spitze der Bundesrepublik Deutschland, jener großen kapitalistischen Industrienation – es wäre 1990 kaum vorstellbar gewesen.

Damit hat er verdammt recht. Und nicht allein das: Trotz aller Unzufriedenheit und trotz anderer politischer Meinungen sollten wir kurz innehalten und uns mal klarmachen, dass wir derzeit im fortschrittlichsten und integrativsten Deutschland aller Zeiten leben. Mit Angela Merkel haben wir erstmals eine Frau zur Kanzlerin, mit Wolfgang Schäuble ist ein Rollstuhlfahrer Minister und Guido Westerwelle darf als Außenminister homophoben Scheichs die Hand schütteln. All das wäre noch in den Achtzigern undenkbar gewesen. Doch zurück zum Thema.

Dann bemüht Alexander Cammann ein interessantes Beispiel aus der Geschichte, das die Rasanz der ostdeutschen Machtübernahme verdeutlichen soll. Über 50 Jahre habe es gedauert, bis 1762 endlich ein Schotte Premierminister des Vereinigten Königreichs von Großbritannien werden konnte.

Aber das war es auch schon mit meiner Zustimmung. Was mir an diesem Beitrag nicht schmeckt, ist eben die wackelige Überschrift, die wie ein Motto dem Beitrag seine Interpretationsrichtung vorgibt und am Schluss klar ausgesprochen wird:

Das Integrationsziel ist erreicht. Gauck und Merkel an der Spitze: auch das ein Ergebnis der Revolution von 1989, die Deutschlands Antlitz mehr verändert hat, als eingefleischte Bundesrepublikaner sich und anderen suggerieren wollten. Die Last der Verantwortung tragen jetzt aber auch wir Zonenkinder völlig gleichberechtigt und ohne Ausreden.

Was erlauben Strunz..? Im Subtext klingt das für mich irgendwie so: Haltet die Klappe, jetzt ist alles gut, wir sind alle gleich. Was ist das nur für ein Unsinn! Weil ein Pfarrer und eine Pfarrerstochter aus dem Osten die höchsten Staatsämter besetzen, ist die Integration vollzogen? Angela Merkel und Joachim Gauck gehören doch zu der Generation der Pastoren und Bürgerrechtler (»Man betrachte noch mal die Bilder von damals: Was für Bärte, Klamotten und Frisuren!«), die in der Umstellungsphase von 1989/90 Karriere gemacht hat und schon vor 20 Jahren in der Politik nach vorne gerutscht ist. Sie sind bereits seit langem Politprofis. Ich sehe jedoch keinen Nachwuchs aus dem ›integrierten‹ Osten, der in den Neunziger oder Nullerjahren in die bundesdeutsche Politik gerückt wäre. Cammann nennt viele Beispiele erfolgreicher Ossis, aber alle aus dem Bereich der Kunst. Geschenkt sei auch der Hinweis, dass nicht alle Ossis Joachim Gauck als Konsenspräsidenten haben wollen.

Wer kennt nicht das alte Lied: Solange die Löhne zwischen Ost und West nicht auf gleichem Niveau sind, solange junge Menschen aus dem Osten ihr Land verlassen müssen, um Arbeit und Lehrstellen im Westen zu finden, solange steht sie noch, die Mauer. Die Integration ist bei weitem noch nicht abgeschlossen und wird es vielleicht nie, warum auch? Warum sollen Unterschiede komplett verschwinden und alle Bewohner Deutschlands zu einem Einheitsbrei gerinnen? Hier mal mein Beispiel aus der Geschichte, gar nicht so weit weg. Weil die Preußen bei der Gründung des Deutschen Reichs 1871 die Bayern mit ins Boot holten und so von den liebgewonnenen katholischen Brüdern und Schwestern in Österreich trennten, blieben sie für die Bayern immer die ›Saupreußen‹, auf die man schimpfen darf. Auch sonst gibt es Vorbehalte und alte Rechnungen in der modernen Bundesrepublik, die sich mit Frotzeln und Witzeln den Weg an die Oberfläche suchen. Warum soll es neben Sachsen, Schwaben, Pommern, Hessen und so weiter nicht auch weiterhin eine ostdeutsche Identität geben? Zumal die ›Zonenkinder‹, also die in der DDR geborenen, eine ziemlich homogene Mythologie teilen. Es soll dabei nicht um ›Ostalgie‹ gehen, sondern um viel komplexere Dinge, bei denen die SED-Diktatur einen zugemauerten Hinterhof darstellt, in den trotzdessen die Sonne scheint und der darum ein eigenes Biotop hervorbrachte, das gar nicht so fremd sein muss.

Ein weiteres Beispiel: Beinahe jedes Kind aus dem Westen kennt Lyman Frank Baums Märchen »Der Zauberer von Oz«, die Kinder aus dem Osten kennen eher die Version »Der Zauberer der Smaragdenstadt« des russischen Schriftstellers Alexander Wolkow. Beiden Kindergruppen ist dasselbe Märchen vertraut, die Ossis verfügen sogar über eine um fünf Bände erweiterte Variante. Die Integration kann doch nicht dann als geglückt gelten, wenn alle Ostkinder nur noch »Den Zauderer von Oz« lesen. Mumpitz!

Unterschiede müssen nicht immer zum Nachteil gereichen, aber ein Nachteil ist der Unterschied bei den Vermögens- und Machtverhältnissen. Selbst dem Autor scheint seine These nicht ganz geheuer gewesen zu sein, denn mittendrin fallen auch ihm einige Ungerechtigkeiten ein, nur vernuschelt er sie und analysiert nicht weiter:

Gewiss: Solange die Vermögensverhältnisse so unterschiedlich bleiben, bleibt auch die Eroberung unvollständig. Auf absehbare Zeit sind weder östliche Chefredakteure nationaler Medien noch Bundesverfassungsgerichtspräsidenten oder Vorstandsvorsitzende von Dax-Unternehmen in Sicht.

Ja warum eigentlich?

Mein Resümee: Politisch und wirtschaftlich sind die Ostdeutschen noch lange nicht gleichberechtigt, oder korrekter (denn die Rechte sind ja für alle gleich): auf dem selben Niveau wie die Bewohner Westdeutschlands. Trotz Bundekanzlerin, trotz Konsenspräsident. Daran muss weiterhin gearbeitet werden. Kulturell und geografisch wird der Ossi noch lange weiterleben. Hoffentlich. Ein »Ende des Ossis« wäre eine kulturelle und sprachliche Verarmung Gesamtdeutschlands – und damit meine ich nicht den sächsischen Dialekt à la Wolfgang Stumpf, den ARD+ZDF den Ossis in ihren Produktionen gern verpassen. Überhaupt ist das Verschwinden von Identitäten ein Verlust von Reichtum.

»Nur 20 Prozent aller Menschen haben ein Gespür für Ironie, was bedeutet, dass achtzig Prozent der Erdbevölkerung alles für bare Münze nehmen.«
(Douglas Coupland: JPod)

Karl Marx kann da nicht lachen.

Karl Marx kann da nicht lachen.

Autor: Michael Gückel
Titel: Cui bono, Chemnitz? Vom einstigen DDR-Gulag zur Hauptstadt des Grauens.
Erschienen in: taz (www.taz.de)
am: 2.1.2012
über: Chemnitz

Gründe, dieses Weblog aus der Taufe zu heben, gab und gibt es genügend. Der eigentliche Auslöser war ein Artikel des taz-Genossen Michael Gückel: Cui bono, Chemnitz? Vom einstigen DDR-Gulag zur Hauptstadt des Grauens. Darin vergleicht der Autor das frühere Karl-Marx-Stadt mit Tschernobyl und bezeichnet den Karl-Marx-Kopf, kurz: Nischel, als verstrahlten Meteorklumpen. Um es gleich vorweg zu nehmen, denn das wurde nicht jedem sogleich klar, wie die meisten der 742 Kommentare beweisen: Alles nur Spaß! Erschienen ist der Spaß-Beitrag in Die Wahrheit, der Satire- und Humorseite der taz.de: »Die Wahrheit hat drei Grundsätze: Warum sachlich, wenn es persönlich geht. Warum recherchieren, wenn man schreiben kann. Warum beweisen, wenn man behaupten kann. Deshalb weiß Die Wahrheit immer, wie weit man zu weit gehen kann.«

Man kann den vorliegenden Artikel ganz gut als Parodie auf die herkömmliche Negativpresse Ost lesen, denn er enthält bereits viele wesentliche Elemente aus denen solche Beiträge sonst gestrickt werden. »Die Welt wird langsam blass und immer grauer, Chemnitz kann nicht mehr weit sein.« Bereits der erste Satz ist ein Paradebeispiel, weil er sich auch auf den Himmel bezieht, der wie immer grau ist, grau sein muss, denn man befindet sich in Ostdeutschland. Deutschland ist, bedingt durch die Wolkenmauer der Alpen, wahrlich keine Sonnenscheininsel, doch im Osten scheint sie nie zu scheinen, die Sonne, wenn Reporter dort unterwegs sind. Ex oriente krux.

Als nächstes sind die Plattenbauten dran, aus denen bekanntlich die gesamte ehemalige DDR errichtet wurde – im Westen gibt es so etwas ja nicht. Monotonie, wohin man sieht. Warum verfährt sich die Journallaie auch immer ausgerechnet in die Neubaugebiete? Gückel schreibt:

»In den Siebziger und Achtziger Jahren ging es weiter bergab mit den Karl-Marx-Städtern. Sie wurden Teil eines groß angelegten Versuchsaufbaus, bei dem die psychische Belastbarkeit der Bürger getestet wurde. Man transformierte die Stadt immer weiter in ein klobiges Plattenbaulabyrinth, das nur zwei Extreme kannte: kackbraun und aschgrau.«

Ein weiteres typisches Element sind die Gedenkkreuze für jugendliche Verkehrsopfer an den Straßenrändern, oft, allzu oft gesehen an Alleen in Branden- oder Mecklenburg. In meinen Augen war das vor allem ein Phänomen der Neunziger. Mich würde heute interessieren, wie viele Fälle davon Selbstmorde waren. Weil die Freundin weggelaufen ist, weil die Situation perspektivlos war, weil weil weil …

Die allseits unbeliebten Neonazis kommen in dem Satire-Beitrag merkwürdigerweise nicht vor, dafür gibt es ein Potpourri der ansonsten üblichen Schlagworte: Hartz-IV-Empfänger, Bevölkerungsschwund, Image-Kampagne. Auch über den sächsischen Dialekt und den Ortsnamen wird sich – zu akademisch, wie ich finde – lustig gemacht; für jemanden, der in Eisenhüttenstadt ausgewachsen ist, welches übrigens 1953 Karl-Marx-Stadt heißen sollte, dann jedoch den Namen Stalinstadt verliehen bekam, ein vertrauter Topos (geisteswissenschaftlich). Darüber hinaus erfindet Michael Gückel den in Chemnitz geborenen Dichter Hermann K. Tschunke und legt diesem folgende Worte in den Mund: »In Chemnitz zu leben ist, wie einer Pflaume beim Schimmeln zuzusehen.« Immer gut, wenn man seine Meinung mit einem Schriftsteller teilen kann. Für diesen subtilen Gag bekommt der Autor einen Extrapunkt.

Wie so etwas bei der überwiegend ostdeutschen Leserschaft ankommt, kann man in über 700 Kommentaren lesen. Die Reaktionen reichen von »Das ist keine Pressefreiheit sondern einfach alles nur Dreck!« (Wolfgang) über »Der Autor tut mir leid! Er sollte sich mehr überlegen, was er schreibt und Chemnitz mal zB. zur Adventszeit besuchen.« (M. Wünsch, Chemnitz) bis zu »die satire ist sehr gut und wer mit offenen augen durch die stadt geht weiss was damit gemeint ist.« (Iflashback). Hier vermute ich auch einen der eigentlichen Gründe, warum hin und wieder solche (allerdings dann ‚ernst‘) gemeinten Artikel in den seriösen Medien über den Osten erscheinen. Wer öffentlich Leute beleidigt, bekommt garantiert eine Reaktion. Wer eine ganze Stadt beleidigt, bekommt garantiert viele Reaktionen und somit Klicks auf seiner Seite. Doch darf das Journalismus? Um der Auflage wegen unsachlich werden? Ich dachte, das wäre allein die Domäne einer gewissen Boulevard-Zeitung. Doch zurück zum vorliegenden Artikel, denn der ist Satire. Am besten hat mir die Reaktion des Chemnitzverstehers gefallen, sie klingt so entspannt und warmherzig:

»Ich mag den Text. Und Chemnitz mag ich auch, obwohl es leer ist und alt und nach Vergangenheit riecht und nicht nach Zukunft. Satire darf natürlich Stalingrad-Witze machen (langweilige taz: paar Tage später gabs einen Stalingrad-Witz auf Kosten von NRW), sie darf auch über Verkehrstote lachen (solang dabei kein taz-Genosse umkam, die werden dringender gebraucht denn je). Und Satire darf natürlich auch keine Ahnung haben. Was wir als Chemnitzer nicht dürfen: Uns aufregen und so tun, als würden wir in Neu-Paris leben. Lachen wir doch einfach mal mit. So lachen alle, der Autor über sein Werk, die Berliner Leser über Chemnitz, wir Chemnitzer über den Autor und seine abgestandenen Witze und, denn dazu braucht es Reife, vielleicht auch über uns selbst und unsere absurde Stadt. Wir lieben Chemnitz, so wie wir unsere hässlichen Kinder lieben. Denen geben wir auch weiterhin alberne Namen, weil uns altdeutsche Dichtervornamen oder nordische Möbelnamen wirklich noch blöder erscheinen. Und nun geh ich raus und werde fest den Nischl drücken. War neulich in Berlin: Der Ernst-Thälmann am Ernst-Thälmann-Park in Prenzlauer Berg ist übrigens genauso groß und sieht dabei nicht annähernd so gut aus. Also, Chemnitzer: Bis dann am Nischel!« (Chemnitzversteher)

Dem ist nichts hinzuzufügen.

Foto: Kunst am Bau/DDR via flickr.com

Autor: Roland Mischke
Titel: Warum Tom Hanks sich in Eisenhüttenstadt verliebt hat
Erschienen in: Augsburger Allgemeine (www.augsburger-allgemeine.de) (u.a.)
am: 13.01.2012
über: Eisenhüttenstadt

Man gönnt Eisenhüttenstadt den Wirbel von Herzen, den der Kurzbesuch des Schauspielers Tom Hanks Anfang Dezember letzten Jahres auslöste und der durch die dazugehörige launige Plauderei wenig später in der David-Letterman-Show noch verstärkt wurde.  Dass dieses Ereignis jedoch überhaupt derart einschlägt, erklärt sich nicht zuletzt aus der Fallhöhe von der Zentralfigur dieser Geschichte – des Weltstars aus Hollywood – und dem Handlungsort: eine mit allerlei Stereotypen stigmatisierte Stadt am östlichen Rand der Bundesrepublik. Glamour und Showkultur verbindet man mit solchen Orten eher genausowenig, wie das wirkliche Interesse an der DDR-Geschichte bei solch einer Celebrity.

Eisenhüttenstadt

Eisenhüttenstadt / III. WK im April 2011 (Foto: privat)

Der heute in verschiedenen Regionalzeitungen erschienene Bericht Roland Mischkes setzt auf diese Pointe. Naturgemäß greift er dabei auf die passenden Stereotypen zurück. Bereits in der Überschrift wird Eisenhüttenstadt ohne weiteren Anlass auf das Attribut  „SED-Ort“ reduziert. Dieses Thema wird im ersten Satz aufgegriffen:

„Stalinstadt“ sagte er lieber nicht vor den Kameras.““

Was schlicht falsch ist. Tom Hanks sagte während der Präsentation der ersten Fotografie in der Sendung: „Back in the days when it was still called Stalinstadt – no lie! …“ und trifft dabei die historische Einordnung noch sensibler als die SED-Attributierung bei Roland Mischke. Sein Text ist ansonsten vergleichsweise zahm, versucht sich punktuell in Ironie:

„die 34000-Einwohner-Kommune Eisenhüttenstadt freien Lauf, die nach dem Zweiten Weltkrieg als Stalinstadt ihre Karriere als Modell für den unaufhaltsamen Sieg des Sozialismus begonnen hatte.“

und weiß ansonsten genau, wie die Botschaft auszusehen hat:

„Heute ist der Industriestandort – wie viele andere in den neuen Bundesländern – marode. Einwohner verlierend, leidet er mehr an seiner Vergangenheit, als dass er von ihr profitiert.“

Faktisch ist hier wenig einzuwenden, obschon die teilweise beinah übersanierten Innenstadtbereiche ein anderes Bild vermitteln. Die Stadt hat es schwer und dies besonders aufgrund ihrer Grundanlage als sozialistische Planstadt. Das betrifft sowohl Stadtraum als auch Mentalität. Das Wort „marode“ impliziert jedoch Hoffnungslosigkeit und einen unumkehrbaren Zustand.

Unter anderem nach der Ansiedlung einer zwar nicht arbeitsplatzintensiven aber durchaus bemerkenswert großen Wellpapierfabrik lässt sich die Entwicklung so zunächst einmal nicht in Übereinstimmung mit der Bedeutung des Worts „marode“ setzen. Die Zuspitzung ist jedoch für die Dramaturgie des Artikels notwendig, denn Roland Mischke berichtet gegen Ende des Textes:

„Hanks betonte bei David Letterman, er habe sich vor allem für die Architektur interessiert und das Leben der Menschen in einer Stadt, die im Sozialismus groß herauskommen sollte. Dass sie nun dahinsiecht, er aber in der relativen Perspektivlosigkeit für einen Adrenalinschub sorgen konnte, nimmt er froh und gelassen hin.“

„[G]roß herauskommen“ erscheint hier ebenfalls als semantische Beugung des Planstadtsgedanken und vernachlässigt, dass sowohl die Stadt ihren Popularitätshöhepunkt schon überschritten hatte, als sie 1961 zu Eisenhüttenstadt wurde. Sie kam bereits im frühen DDR-Sozialismus groß heraus und war natürlich auch in der Folge stabiler Bestandteil des Aufbau-Narrativs der Deutschen Demokratischen Republik.

Wichtig für die Vorstellungswelt des Artikels ist der Eindruck, dass die Stadt ein Star werden sollte. Denn damit wird die Analogie zu Tom Hanks aufgebaut, der einen solchen Status repräsentiert. Während Tom Hanks erfolgreich ist, ist Eisenhüttenstadt gescheitert und im Siechtum. Die spannende Frage im Subtext des Artikels baut auf dieser Diskrepanz:  Er ist ein Star – holt er sie raus?

Natürlich nicht. Aber, so die Rolle von Tom Hanks laut der Interpretation Roland Mischkes, er sorgt für Aufregung, belebt also die Stadt im Niedergang, wenn auch mehr für den Moment, wieder. Und ganz souverän, „froh und gelassen“ steht der sympathische Schauspieler über den Dingen.

„Das Studiopublikum applaudierte.“